Konjunktur

Aktuelle HWWI-Konjunkturprognose

01.09.2022 | Pressemitteilung | von Jörg Hinze
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Deutsche Wirtschaft gleitet in Rezession

- Worst Case – anhaltender Ukraine-Krieg und hohe Inflation – eingetreten

- Gasmangellage dämpft Produktion und erhöht Inflation

(Hamburg, 1. September 2022) Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) hatte bereits in seiner Prognose vom 2. März, kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs, geschrieben: „Bei noch weiterer Eskalation müsste – je nach Umfang etwaiger Gegensanktionen – gegebenenfalls sogar mit einer Rezession gerechnet werden.“ Mit anhaltendem Krieg und eingeschränkter Gasverfügbarkeit zeichnet sich nun – insbesondere für das kommende Winterhalbjahr – diese rezessive Entwicklung ab. Die Gasmangellage wird die Produktion dämpfen und die Inflation höher halten als vormals erwartet. Das reduziert die Kaufkraft der Haushalte weiter und beeinträchtigt auch die Investitionsbereitschaft. Die deutlich über dem Stabilitätsziel liegende Inflation und die nun höheren Lohnforderungen veranlassen die Europäische Zentralbank zu einer restriktiveren Geldpolitik, die ebenfalls die Wirtschaftsentwicklung dämpft. Das HWWI erwartet deshalb für Deutschland nun ein Wirtschaftswachstum von nur mehr 1 ¼ % für 2022 und von -½ % für 2023; für die Inflationsrate wird mit durchschnittlich 7 ½ bzw. 4 ½ % gerechnet.

 

Im Detail

Inzwischen ist der in den Prognosen von Anfang März und Juni als Risiko beschriebene Worst Case, nämlich ein Andauern des Ukraine-Kriegs sowie damit verbunden eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Energie, insbesondere von Gas, eingetreten. Selbst wenn die aus Russland ausfallenden Gaslieferungen aus anderen Quellen gedeckt werden können, wird das nur zu sehr hohen Preisen möglich sein. Wegen nicht ausreichend oder nur zu unrentablen Kosten verfügbaren Gases muss deshalb insbesondere im kommenden Winterhalbjahr mit Einschränkungen der Industrieproduktion und in der Folge mit einem Rückgang des preis- und saisonbereinigten Bruttoinlandsprodukts gerechnet werden, zumal durch Corona bedingte Krankheitsausfälle und Lieferkettenprobleme andauern. Die damit und mit dem erhöhten Inflationsdruck einhergehende Verunsicherung dämpft privaten Konsum und Investitionen. Die Bautätigkeit wird sowohl durch stark gestiegene Baukosten als auch durch steigende Zinsen beeinträchtigt. Damit wird der Erholungsprozess nach Corona erneut unterbrochen.

Die deutsche Wirtschaft hat zwar im zweiten Quartal trotz der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und gestörter Lieferketten nach Angaben des Statistischen Bundesamts noch geringfügig zugelegt, zeigte aber bereits vielfältige Bremsspuren. Industrieproduktion, Auftragseingänge und Einzelhandelsumsätze sind spürbar gesunken und der Außenhandel lieferte einen negativen Wachstumsbeitrag. Kompensiert wurde dies einmal durch die Wiederbelebung der zuvor durch die Corona-Lockdowns eingeschränkten Dienstleistungsbereiche. Daneben hat der Staat – auch krisenbedingt – seine Ausgaben für Konsum und Investitionen (hierzu zählen auch bestimmte Rüstungsgüter) ausgeweitet. In den letzten Monaten haben sich zudem die meisten Wirtschaftsklimaindikatoren weiter eingetrübt. Und der Inflationsdruck hat sich durch die verschärften globalen Probleme verstetigt, auch wenn einzelne Rohstoffpreise wieder gesunken sind.

Die angespannte geopolitische Lage, die Energiekrise und die Inflation verunsichern die Wirtschaftssubjekte auf allen Ebenen. So ist denn in nächster Zeit eine gewisse Zurückhaltung bei Investoren wie auch Konsumenten zu erwarten, zumal der starke Preisanstieg bei Letzteren die reale Kaufkraft mindert. Es muss damit gerechnet werden, dass zunächst weiterhin nur eingeschränkte Liefermengen an russischen Öl- und Gasimporten fließen und zusätzliche Importe aus anderen Ländern, so weit möglich, nur zu ho-hen Kosten erfolgen werden. Überdies dauern die Lieferkettenprobleme wohl noch einige Zeit an. Ein solches Szenario hat, wie vom HWWI schon in früheren Prognosen als Risiko beschrieben, negative reale und inflationäre Auswirkungen. Deshalb wird nun für kommenden Herbst und insbesondere den Winter mit Produktionseinschränkungen – sei es, weil Gas rationiert wird, und wenn nicht, manche Produktionen aufgrund hoher Energiekosten unrentabel werden – sowie insgesamt höheren Preisen und damit verminderter Kaufkraft für die privaten Haushalte gerechnet. Letzteres und steigende Zinsen werden auch die Bautätigkeit dämpfen. Da sich auch die Wirtschaft vieler Handelspartner eintrübt, ist auch nicht mit Impulsen von außen zu rechnen. Alles in allem dürfte das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt daher wahrscheinlich schon im dritten Quartal, aber sicherlich im Winterhalbjahr sinken. Lediglich wegen des positiven Überhangs zu Jahresbeginn wird im Jahresdurchschnitt 2022 noch ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1 ¼ % zu verzeichnen sein. Die Inflation dürfte im restlichen Jahresverlauf etwas über dem jetzigen Niveau von 7 ½ % liegen, zum einen wegen der im September wegfallenden Entlastungsmaßnahmen (9-Euro-Ticket, Tankrabatt), zum anderen wegen der Gasumlage.

Ab Frühjahr 2023 dürfte sich mit Ende der Heizperiode die Versorgungslage von Energie wieder verbessern. Die Preise für Energie sollten dann ihren Höhepunkt überschritten haben und die Unternehmen sollten kaum weiter zu Produktionseinschränkungen gezwungen sein. Mit im Jahresverlauf nachlassender Inflation – in der zweiten Jahreshälfte 2023 wird mit einer Rate um 3 % gerechnet – sollte sich bei höheren Lohnabschlüssen die Kaufkraft und damit der Konsum der privaten Haushalte stabilisieren. Auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sollte sich dann wieder festi-gen. Die Exporte werden bei moderat wachsender Weltwirtschaft wieder deutlicher zunehmen. Die deutsche Wirtschaft wird dann ab dem Frühsommer 2023 wieder wachsen. Aber selbst bei einem laufenden Tempo von 2 bis 2 ½ % würde erst gegen Jahresende wieder das Niveau von En-de 2019 erreicht. Im Jahresdurchschnitt 2023 wird das reale Bruttoinlandsprodukt wegen des negativen Überhangs gleichwohl um ½ % niedriger als 2022 sein. Die Beschäftigungslage sollte sich weiter stabil entwickeln, die Arbeitslosenzahl wird aber wegen der Zuwanderung etwas höher sein.

Die Risikofaktoren der jüngeren Vergangenheit – Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflationsdruck, Lieferkettenprobleme – bestehen fort. Hinzu kommen neue globale Unsicherheiten, wie Taiwan, und nicht zuletzt eine in immer mehr Ländern zunehmend restriktivere Geldpolitik. Die Finanzpolitik ist in den letzten Jahren von Corona und Ukrainekrieg auch zumeist an ihren Grenzen angelangt. Zudem hängen viele dieser Aspekte wirkungstechnisch – real und inflationär – miteinander zusammen. Unter diesen Umständen sind die Risiken für eine ungünstigere Entwicklung, als in dieser Prognose abgeleitet, sicherlich größer als die Chancen für eine günstigere.

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Vollständige Darstellung aller makroökonomischen Aggregate (PDF)

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Autoren

Jörg Hinze