Konjunktur, Energie- und Rohstoffe

Starker Anstieg der Rohstoffpreise: Aufschwung oder Superzyklus?

19.11.2021 | HWWI Standpunkt | von Claudia Wellenreuther
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In den letzten Monaten zogen die Rohstoffpreise stark an, zunächst die für Industrierohstoffe und in jüngster Zeit auch die für Energierohstoffe. Der HWWI-Rohstoffpreisindex, der die Preisentwicklung der 31 wichtigsten Rohstoffe abbildet, stieg seit Anfang des Jahres um über 70 Prozent. Bis Mai 2021 legten besonders die Industrierohstoffpreise stark zu und überschritten ein Zehnjahreshoch. Die Preiserhöhungen und Lieferengpässe waren für die Verbraucher vor allem bei Baumaterialien deutlich spürbar. Aktuell verteuern sich die Energierohstoffe, was sich bereits in höheren Heizkosten und Benzinpreisen niederschlägt.

Sind diese enormen Preissteigerungen nur eine vorübergehende Entwicklung oder der Beginn eines neuen Rohstoff-Superzyklus? Letzteres beschreibt eine lange, in der Regel mehrere Jahrzehnte andauernde Phase nachfragegetriebener Preissteigerungen, die deutlich die vergangenen Preisanstiege übertreffen. Ausgelöst wird ein Superzyklus durch einen Strukturwandel, der die Nachfrage nach Rohstoffen nachhaltig verändert. Da es je nach Rohstoff einige Zeit dauern kann, bis sich das Angebot ausweitet, sorgt die steigende Nachfrage für Preisanstiege. Der letzte Superzyklus begann im Jahr 2000 und wurde durch die Industrialisierung und Urbanisierung der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) ausgelöst.

Einigen Rohstoffanalysten zufolge könnten die aktuellen Preissteigerungen auf einen neuen Superzyklus hindeuten, da die Digitalisierung und insbesondere die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft zur Erreichung der weltweit auferlegten Klimaziele einen technologischen Wandel herbeiführen, der zu einem strukturellen Anstieg der Nachfrage nach Rohstoffen führen könnte. Diese Entwicklungen wurden durch die Corona-Krise noch verstärkt. So wurde die Digitalisierung durch die weltweite Zunahme an Remote-Arbeit und Homeschooling und die Dekarbonisierung durch auf klimafreundliche Technologien fokussierte Konjunkturpakete beschleunigt.

Bei dem rasanten Anstieg der Rohstoffpreise könnte es sich jedoch auch lediglich um eine kurzfristige Preisreaktion handeln. Rohstoffpreise sind eng mit der konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft verbunden; im Aufschwung steigt die Nachfrage nach Rohstoffen und im Abschwung sinkt sie. Derzeit befindet sich die Weltwirtschaft in einer Aufschwungphase mit entsprechend hoher Nachfrage nach Rohstoffen, der ein weiterhin geschwächtes Angebot gegenübersteht, einer Kombination, die zu enormen Preissteigerungen führt. Insbesondere auf den Märkten für Industrierohstoffe sorgte der Lockdown im Frühjahr 2020 für starke Angebotsverknappungen, da zum Beispiel Minen temporär geschlossen und Lieferketten unterbrochen wurden. Auf den Märkten für Rohöl wird das Angebot weiterhin durch die Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) künstlich verknappt.

Bislang lassen sich die Preissteigerungen also weiterhin durch die Folgen der Corona-Krise erklären. Die seit Mai wieder fallenden Preise für einige Industrierohstoffe deuten darauf hin, dass sich die Versorgungsengpässe allmählich auflösen. Auf den Rohölmärkten hängt die zukünftige Entwicklung der Preise weiterhin von der Politik der OPEC ab. Der durch die Digitalisierung und die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft eingeleitete Strukturwandel wurde durch die Corona-Krise zwar unterstützt, treibt aber derzeit hauptsächlich die Nachfrage nach einem kleinen Teil der Industriemetalle wie zum Beispiel Kupfer, Kobalt und Nickel. Ob diese Entwicklungen ausreichen, um einen neuen Superzyklus anzustoßen, ist daher derzeit noch fraglich.

Autoren

Dr. Claudia Wellenreuther