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Windenergie in Norddeutschland

27.10.2014 | HWWI Update | von Christian Growitsch, Isabel Sünner, Christina Benita Wilke

Norddeutschland ist einer der wichtigsten Standorte für erneuerbare Energien in ganz Europa. Mit der Novellierung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) vom Juli dieses Jahres bekommt die Branche auch in Deutschland wieder Aufwind.

Bereits heute hat die Windenergie einen Anteil von rund 7,5 % am bundesweiten Bruttostromverbrauch. In der Nordsee, aber auch in der Ostsee, entstehen immer mehr Offshore-Windparks, die konzipiert, gebaut und im Betrieb weiter von der Küste aus versorgt werden müssen.

Der Norden Deutschlands hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem bedeutenden Produktions- und Forschungsstandort im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie, entwickelt. So zählen Unternehmen aus Schleswig-Holstein zu den Pionieren im Bereich der Windenergie. Niedersachsen weist von allen Ländern kumuliert die höchste installierte Leistung und Anlagenzahl im Bereich der Windenergie auf – hier wird mit 7.646 MW ein Viertel der deutschen Windenergie produziert. Die hohe Leistung in Niedersachsen geht dabei maßgeblich auf küstennahe Onshore-Anlagen sowie die Offshore-Windparks in der Nordsee zurück. Allein die beiden bislang größten Offshore-Windparks „Bard Offshore I“ und „Riffgat“ verfügen zusammen über eine installierte Leistung von 500 MW. In Bremen und Bremerhaven sind Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Planung und Entwicklung der Anlagen bis hin zum Service vertreten. Die Metropolregion Hamburg schließlich ist Sitz der Unternehmenszentralen weltweit führender Windturbinenhersteller. Zudem wurden Teile der europäischen Offshore-Windparks von Hamburg aus entwickelt.

Von industriepolitischer Bedeutung sind aber nicht die jeweiligen norddeutschen Regionen alleine, sondern vor allem ihre Vernetzung.  In Hamburg hat die Netzwerkagentur Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) mittlerweile fast 200 Mitglieder aus allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Mit der wab hat sich ausgehend von Bremerhaven in Norddeutschland ein breiter Zusammenschluss von Akteuren der Offshore-Windenergie gebildet, der die gesamte Wertschöpfungskette abbildet und mittlerweile als Branchennetzwerk eine nationale Bedeutung gewonnen hat.

Dieser hohe Vernetzungsgrad, sowohl zwischen Forschung und Wirtschaft, innerhalb der Wirtschaft als auch zwischen in- und ausländischen Akteuren, fördert Innovationen und sorgt für ein dynamisches Geschäftsumfeld. Bereits jetzt sind bei Aufbau und Betrieb der norddeutschen Windparks auch Unternehmen zum Beispiel aus den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien involviert. Der Grundstein für die Entwicklung eines innovativen und international wettbewerbsfähigen Branchenclusters ist damit gelegt.

Zukünftig wird es für die norddeutschen Akteure verstärkt darauf ankommen, auch leistungsfähige interregionale Clusterkooperationen und strategische Allianzen mit geeigneten europäischen Partnerregionen aufzubauen. Ziel muss es sein, gemeinsam die Herausforderungen der weiteren Entwicklung der Offshore-Windenergie in ihrer europäischen Dimension zu diskutieren, Forschungslücken zu identifizieren und Handlungsbedarfe in größeren geografischen Zusammenhängen zu definieren (zum Beispiel für den Nordseeraum). In diesem Kontext ist von Bedeutung, dass mit der neuen Haushaltsperiode auf EU-Ebene auch die neue Förderperiode (2014–2020) begonnen hat. Die Förderprioritäten im Rahmen der Strukturfondsförderung (INTERREG) nehmen bereits deutliche Konturen an. Gerade der Bereich „Eco-Innovation“ beinhaltet für den deutschen Nordseeraum als bedeutendem Standort der Offshore-Windenergie große Chancen. Umso wichtiger erscheint es für die regionalen Branchenakteure, ihre Entwicklungsziele mit denen der Europäischen Union (EU) abzugleichen und Potenziale für transnationale Zusammenarbeit zu heben.

Mit der Windenergiewirtschaft, insbesondere auch im Offshore-Bereich, ist eine Re-Industrialisierung und damit verbunden der Aufbau neuer Arbeitsplätze im Norden verbunden. Rund 118.000 Arbeitsplätze sind im Bereich der Windkraft in Deutschland insgesamt angesiedelt (Stand 2012), davon entfallen 18.000 Arbeitsplätze auf die Offshore-Windenergie. Die Energiewende wird mittelfristig zusätzlich für neue Arbeitsplätze sorgen – insbesondere der weitere Ausbau der im Vergleich zu anderen regenerativen Energiequellen kostengünstigen Offshore-Windkraft kann als Jobmotor für den Norden Deutschlands wirken, aber auch die Zulieferindustrie im Binnenland mit ihren Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen und Baden-Würt-temberg wird von dieser Entwicklung profitieren. Dabei sind die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten in der Windenergiebranche vielfältig und wachsen stetig. Unter den Nachfragern finden sich Anlagenhersteller und Zulieferer ebenso wie Werften, Unternehmen der Hafen- und Logistikbranche sowie Dienstleister im Bereich von Sicherheitstrainings.

Um die Zukunft der Offshore-Branche zu sichern und dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, wird es für Unternehmen und öffentliche Hand maßgeblich darauf ankommen, gemeinsam mit Bildungsinstitutionen und im Dialog mit europäischen Partnern neue Ausbildungskonzepte im Offshore-Bereich zu entwickeln. Dabei sollte unbedingt ein Augenmerk auf die Zusammenarbeit mit anderen führenden Offshore-Standorten gelegt werden, um langlangfristig einen europäischen Arbeitsmarkt für Windenergieberufe zu schaffen, der die Aspekte Spezialisierung, Standardisierung und Arbeitskräftemobilität gleichermaßen ins Kalkül zieht. Derzeit behindert insbesondere ein Mangel an Standardisierungen eine Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, so beispielsweise im Bereich der Sicherheitstrainings. Umso wichtiger ist es, bei der Entwicklung von Ausbildungsinitiativen im Offshore-Bereich auch große Unternehmenspartner einzubinden. Auch sollte der Wissenstransfer von Bereich Offshore-Öl- und -Gas zur Offshore-Windbranche künftig wirksamer als bisher genutzt werden. Hier sind besonders Schottland und Norwegen Vorreiter und können interessante Dialogpartner für Offshore-Regionen auf dem europäischen Kontinent darstellen.

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtstromerzeugung wird künftig deutlich steigen. So ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch auf 55-60 % bis zum Jahr 2035 zu erhöhen.  Aus ökonomischer Perspektive sollte dieses Ziel möglichst effizient verfolgt werden. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind wettbewerbliche Lösungen. Daher sollte die Energiewende schnellstmöglich als gesamteuropäisches Projekt verstanden werden. In der Konsequenz könnten Anlagenstandorte in Norddeutschland zwar etwas unattraktiver werden. Der norddeutsche Windcluster hätte aber die Möglichkeit, seinen technologischen Vorsprung im europäischen Ausland zu nutzen und die in Norddeutschland entwickelten Technologien zu exportieren.

Für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Norddeutschlands und insbesondere des Nordwestens stellt die Offshore-Windenergie eine Schlüsselbranche dar. Allerdings bedarf es nach wie vor verlässlicher politischer Rahmenbedingungen, die effiziente Investitionsanreize setzen. Ein zukunftssicheres Strommarktdesign sollte daher wettbewerbliche Elemente wie Ausschreibungsmechanismen mit einem Anteil sicherer Zahlungsströme unter Berücksichtigung des Strompreissignals verbinden. Um die sich bietenden Chancen zukünftig optimal nutzen zu können, müssen außerdem die vorhandenen industrie-llen Potenziale der norddeutschen Länder gezielt und zeitnah weiterentwickelt werden. Hierfür gilt es, die Netzwerke und Forschungsaktivitäten weiter auszubauen und zu fördern, um im Standortwettbewerb der Offshore-Standorte auf nationaler wie internationaler Ebene bestehen zu können.

Dossier

Eine Zusammenstellung von Publikationen des HWWI zum Thema „Erneuerbare Energien“ finden Sie hier.

Autoren

Isabel Sünner